Geistlicher Impuls zum Sonntagsevangelium am 22.03.2020
Evangelium am 4. Fastensonntag (Lesejahr A) (22.03.2020)
Johannes 9, 1-41 – hier: 1-7, 35-38
Die Heilung des Blindgeborenen
1 Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. 2 Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde? 3 Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden. 4 Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr wirken kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6 Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen 7 und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Das heißt übersetzt: der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen. … 35 Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn? 36 Da antwortete jener und sagte: Wer ist das, Herr, damit ich an ihn glaube? 37 Jesus sagte zu ihm: Du hast ihn bereits gesehen; er, der mit dir redet, ist es. 38 Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.
Geistlicher Impuls
Liebe Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens!
Nicht sehen können! Vielleicht von Geburt an! Oder wenn ein Unfall oder eine heimtückische Krankheit das Augenlicht raubt! Sehende wissen nicht, was das bedeutet: Ständig wie in der Nacht leben zu müssen. Darüber hinaus gibt es noch andere Blindheiten, die weitverbreitet sind:
Ich sehe beispielsweise bisher nicht, welch hoher Wert die Gesundheit für mich ist. Die aktuelle Corona-Krise kann mir die Augen dafür öffnen, dass meine Gesundheit ein Geschenk Gottes ist, für das ich besonders verantwortlich bin – für mich selbst und im Blick auf die anderen. So bekomme ich eine neue Sichtweise.
Und noch so eine »Blindheit«: Ich denke an einen Nachbarn, den ich bisher nur ganz oberflächlich kannte. Ich hatte große Vorbehalte ihm gegenüber. Ich ging nur von äußerlichen Gegebenheiten aus. Erst jetzt, als ich einmal näher mit ihm ins Gespräch kam, merkte ich, wie wertvoll er doch ist, wie viel in ihm steckt. Ich gestehe: Das war eine ganz unangenehme und gefährliche Blindheit bei mir.
Und damit sind wir schon in der Mitte unseres Sonntagsevangeliums. Denn auch da geht es nicht nur darum, dass einer mit seinen äußeren Augen zum Sehen findet. Nicht nur diese Fesseln löst Jesus. Die Heilung des Blinden in unserem Evangelium ist erst dort vollendet, wo der Blinde sagen kann: Ich glaube; wo also die Fesseln seines Unglaubens fallen. Wie der Blinde zu diesem weiten Blick findet? Da gibt uns das Evangelium heute einen deutlichen Hinweis, in dem es sagt: Zum Glauben, zu diesem ganzen und vollen Sehen, kommt nur, wer Jesus mehrfach über den Weg läuft, ihm öfter begegnet und dann am Ende wirklich auf ihn stößt. Jesus erkennen, ihn wirklich in seiner Bedeutung verstehen, – das ist ein Prozess. Das braucht Zeit. Das braucht die immer wieder die Frage: Herr, wer bist du? Der/die braucht die richtige Berührung mit ihm.
Nun werden Sie vielleicht sagen: Aber das ist doch für mich nicht das Problem. Ich bin doch so im Großen und Ganzen ein gläubiger Mensch. – Bin ich wirklich eine Glaubende, ein Glaubender? Ja, es wird schon so sein, dass manche den Glauben dankbar als ein Geschenk erleben, dass sie froh sind an diesem Licht ihres Lebens. Aber gibt es an unserem Glauben nicht noch genug blinde Flecken? Ist er nicht oftmals nur ein Formelglaube, ein Gesetzesglaube, ein Glaube, der sich an tote Buchstaben hält? Ist von meinem Glauben eigentlich auch in meinem Alltag etwas zu spüren? Trägt mein Glaube mich auch im Ernstfall meines Lebens? Hat er Kraft? Gibt der Glaube Kraft?
An der einen oder anderen Stelle dieser Rückfragen, merke ich vielleicht, dass ich die Begegnung mit Jesus, seine Berührung, seine heilsame Nähe nötig habe. Dass ich es nötig habe, dass Jesus Christus an mich herantritt, so ganz nahe, wie er an den Blinden damals herantrat. Dass er mich herausholt aus der Blindheit meines Unglaubens, aus der äußerlich gewordenen Gläubigkeit, aus den toten Formeln und leeren Gewohnheiten. – Wie aber finde ich heute zu dieser Begegnung, zu dieser Berührung?
Zur intensiven Berührung mit Jesus Christus kommen wir besonders in der Feier der Sakramente. In dieser „Corona-Zeit“ ist ihr Empfang leider stark eingeschränkt. Die heilende Berührung mit Jesus kann sich auch dann ereignen, wenn wir sein Wort lesen oder hören, wenn wir ihn wirklich zu uns sprechen lassen. Wir können seine originale Stimme hören in der Schilderung seiner Begegnungen, in den Gleichnissen, die Jesus uns erzählt, in den Worten voller Zuspruch und Herausforderung. Gerade auch die Worte des Johannesevangeliums sind so sprechend, so berührend. Vielleicht kann ich diese stille Zeit in meinen eigenen vier Wänden – allein oder im Kreis der Familie – dafür nutzen, die Bibel neu zu entdecken, sie mal wieder regelmäßig in die Hand zu nehmen. Ich kann mir Jesu heilende Worte zu Herzen gehen lassen.
Jesus ermutigt zum Aufbruch und neuen Beginn. Er will uns begegnen, uns seine Nähe und seine Berührung schenken. Er nimmt die Blindheit von uns. Er löst die »Häute« von unseren Augen, dass es hell und licht wird. So viel Licht – wirklich – ein Licht, das auch die Tiefen unseres Herzens hell machen kann.
Amen.
Bleiben oder werden Sie gesund – unter Gottes Schutz!
Ihr Pastor Dr. Jürgen Wätjer