„Sehen – Urteilen – Handeln“ – Impuls 01.01.2021

Im achtzehnten Beitrag der Sonntagsimpulse spricht Peter Beckwermert, Pastoraler Mitarbeiter mit dem Schwerpunkt Soziale Not, über den Arbeiterpriester Joseph Cardijn und den Dreischritt „Sehen – Urteilen – Handeln“.

„Dieser Tag soll ein Anfang werden, nicht nur im Kalender. Im Namen Gottes und im Licht seines Angesichts gehen wir unsern Weg durch das neue Jahr, geborgen in seinem beständigen Schutz. Wir schauen auf den Sohn und wissen uns mit Maria und allen Heiligen verbunden.“ Diese ersten Sätze habe ich aus dem Schott-Messbuch geklaut. Denn besser kann ich es auch nicht formulieren.

„Alles beginnt, wir stehen erst am Anfang.“ Das war ein Satz, der meine Jugend geprägt hat. Diese Worte soll der belgische Arbeiterpriester Joseph Cardijn auf seinem Sterbebett gesprochen haben. Durch seine Erfahrungen in der Kindheit und Jugend angetrieben, gründete er eine neue Jugendbewegung, die Christliche Arbeiterjugend, in der auch ich Mitglied war. Cardijn stammte selbst aus einfachsten Verhältnissen und hatte das Glück, länger zur Schule gehen zu dürfen und anschließend Theologie zu studieren. Doch von seinen gleichaltrigen Freunden hörte er, wie es ihnen erging in den Textilfabriken und Kohlegruben.

Der Dreischritt „Sehen – Urteilen – Handeln“ war und ist Grundlage der Jugendarbeit, die Cardijn geprägt hat. Modern ist das nicht!

„Sehen“: Hinschauen, was wirklich los ist in dieser Welt! Cardijn sah, dass es nicht nur seine Lebenswirklichkeit gibt, sondern, dass die Welt der gleichaltrigen Freunde eine ganz andere war. Mit Hilfe des Internet, durch Fernsehen und Zeitschriften können wir unseren Horizont heute so erweitern, dass wir nahezu erschlagen werden durch das, was wir sehen – oder sehen könnten. Wir grenzen uns aber lieber ein. Tragen so eine Art Scheuklappen… Wenn es unangenehm wird, können wir das Programm wechseln, in eine andere Richtung schauen, uns mit netten Katzenvideos ablenken, auf dem Handy rum daddeln… Aber genaues Hingucken hilft!

„Urteilen“: Urteilen meint nicht, das sind aber schöne Bilder. Oder diesen Menschen find ich aber unsympathisch oder besonders attraktiv. Nein, das Gesehene soll beurteilt werden auf der Grundlage, was wir durch das Leben Jesu-Christi, durch die Bibel gelernt haben. Cardijn sagte auch: „Lebe das vom Evangelium, was du schon verstanden hast.“ Die Zeit zu beginnen ist also jetzt! Es kommt nicht darauf an, erst alle Bibelstellen auf die aktuelle Situation beziehen zu können. Wer also begriffen hat, dass man so einem Selbstüberschätzer wie Petrus immer wieder eine neue Chance geben kann, dass man das Schwert besser stecken lässt, dass gerade die, die kein besonderes Ansehen genießen, bei Jesus Aufmerksamkeit geschenkt bekommen, dass Gottes Gerechtigkeit nicht mit menschlichen Maßstäben zu berechnen ist…der kann seine Erfahrungen mit dem, was er aus der Bibel verstanden hat beurteilen. Modern ist auch das nicht.

„Handeln“: Ja, es kommt darauf an, was man daraus macht – man selbst! Handeln heißt nicht, es wäre besser, die Anderen würden es so oder so machen. Nein handeln heißt, was kann oder muss ich tun, damit es so wird, wie Gott es gemeint hat – wie Jesus es uns vorgelebt hat. Das ist anstrengend und manchmal schmerzlich oder überfordernd: Reichtum teilen, Konsum um zweidrittel Reduzieren, Zeit nehmen für Menschen, Hochachtung schenken…weil die Menschen, denen wir begegnen Abbild, Söhne und Töchter Gottes sind! Das ist anstrengend. Deshalb klappt es auch besser zusammen mit anderen – mit Gleichgesinnten und in der ständigen Auseinandersetzung mit Andersdenkenden. Das alles ist gar nicht modern!

Das entspricht nicht unserer konsumorientierten Wachstumsgesellschaft. Um gegen diesen Strom zu schwimmen braucht es Kraft, Ausdauer und Training. Nach Corona könnten Gottesdienste wieder so ein wöchentliches Training sein: Hier gibt es Brot, das uns Kraft für die Woche geben kann. Hier gibt es Orientierung durch das Wort Gottes. Hier gibt es Gebet, um sich Gott an seiner Seite zu wissen. Leider gibt es zu selten Wein für die Freude. Und es gibt den Segen, der uns begleiten soll. Dieser Segen ist schon im Text der Lesung des heutigen Tages aus dem Buch Numeri aufgeschrieben:

Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten
und sei dir gnädig.
Der Herr wende sein Angesicht dir zu
und schenke dir Frieden.