Gottes Bote im Kirchenvorstand – Sonntagsimpuls 20.12.2020 (4. Advent)
Im fünfzehnten Beitrag der Sonntagsimpulse erzählt Pastor Jürgen Wätjer von einer lebendigen Begegnung mit einem Boten Gottes im Kirchenvorstand.
Liebe Schwestern und Brüder!
In der Adventszeit 2020 wird Gottes Bote in eine Pfarrei im Erzbistum Hamburg gesandt. Ausgerechnet in diese Diasporapfarrei, die am Rande der Metropole Hamburg und im Südosten Schleswig-Holsteins liegt. Sie ist zwar von der Katholikenzahl her die größte Pfarrei im Erzbistum, aber die neun Gemeinden und verschiedenen Orte kirchlichen Lebens sind geprägt wie viele andere Gemeinden und Orte kirchlichen Lebens auch. Der Name der Pfarrei ist Heilige Elisabeth.
Der Bote Gottes kommt ganz unvermittelt, unangekündigt in eine Sitzung des Kirchenvorstandes. In seinem Grußwort sagt er ohne lange Vorbemerkungen unüberhörbar und unmissverständlich: Seid herzlich gegrüßt, Gott ist mit euch! Das lässt die Frauen und Männer und den Pfarrer aufhorchen. Sie beraten gerade den Finanzhaushalt der Pfarrei für das kommende Jahr. Die Runde fühlt sich durch den Engel gestört, weil sie auf ihrer Tagesordnung noch die wichtigen Punkte haben: Es stehen mehrere Reparaturmaßnahmen an den Kirchen und Gemeindehäusern an – und wichtige Personalfragen.
Die Frauen und Männer und der Pfarrer – sie sind irritiert über dieses vom Engel angestoßene Thema. Der Herr mit uns! Und es wurde ganz still. Jede und jeder überlegt, was dies wohl für ihn und sie persönlich, für die berufliche und familiäre Situation und für ihr Gemeindeleben bedeuten sollte. Gott mit mir, mit uns, mit unserer Pfarrei und unseren Gemeinden, hier und heute in unseren Städten? Und bevor sie noch etwas sagen können, fahrt der Engel schon fort: Habt keine Angst, ihr Schwestern und Brüder von der Heiligen Elisabeth! Ihr seid voll der Gnade und ihr habt bei Gott Gnade gefunden, Gott hat Wohlgefallen an euch.
Was sind das für Worte! Gnade, das hatten sie in ihren Sitzungen schon lange nicht mehr gehört und ausgesprochen. Sie sollen Begnadete sein? Ihr Pfarrei- und Gemeindeleben soll ein Gnaden-geschenk sein, etwas, das mehr ist als Struktur, Organisation, Verwaltung des Mangels, vom Erzbischof eingesetzt und angeordnet? Begnadet sollen sie sein, wo sie sich doch zurzeit eher verstört und müde fühlen, nicht wissen, wohin das alles noch führen soll, wenn immer mehr Menschen der Gemeinde fernbleiben, junge Familien nicht mehr zum Gottesdienst kommen, die Jugendlichen andere Interessen haben. Und überhaupt empfanden sie in diesem Jahr der Corona-Pandemie mehr Frust als Begeisterung für die Botschaft Jesu, mehr Last als Gnadenfreude.
Und als ob der Engel ahnte, was in ihnen vorging, legte er gleich noch nach: Ihr werdet neues Leben und eine neue Lebendigkeit empfangen, ein ganz besonderer Advent steht euch bevor. Ihr werdet schwanger werden, Leben wird in euch wachsen und ihr werdet Leben in die Welt und zu den Menschen bringen. Und dieses Leben, das in euch eingepflanzt wird, hat einen Namen, der gleich-zeitig Programm für euch ist: Jesus, also Heil und Rettung, Heilung und Befreiung. Es ist euch geschenkt, umsonst, gratis – Gnade. Ihr seid Beschenkte, reich beschenkt, weil beschenkt mit Leben.
Ihr werdet guter Hoffnung sein, gerade in diesen Tagen, wo so viel gegen das Leben steht, im Kleinen und im Großen, in den nahen und den weltweiten Verhältnissen. Ihr werdet Hoffnungs-trägerinnen und -träger sein, wo so viel Hoffnung und Leben gefährdet und bedroht ist, wo so viele Menschen lebensmüde und hoffnungslos sind, wo so viel Leben ausgelöscht und zerstört wird von einem Tag auf den anderen, durch Krankheit, Corona, Hunger, Gewalt und Terror. Euch ist eine Lebensperspektive geschenkt in allen Dunkelheiten und allem, was Leben zerstört und Leben schändet.
Diese Hoffnung ist kein Zweckoptimismus, der oberflächlich über die Wirklichkeit hinwegsieht angesichts dessen, was Not und Elend der Menschen ist. Eure Hoffnung hat vielmehr eine tiefe Begründung: Gott selbst, der sich euch vorstellt als der, der da ist, von dem es heißt, dass er das Schreien und Klagen seines Volkes hört, der empfindlich ist für das Elend und das Leid der Menschen. Ihr dürft dem kleinen Samenkorn Hoffnung in euch trauen, das Gott selbst in euch gelegt hat. Es ist eine Hoffnung, die ansteckend wirkt und Licht bringt in die Dunkelheiten und Todeszonen der Welt.
Einem aus der Runde des Kirchenvorstandes wird es jetzt zuviel. Er unterbricht den Engel und wider-spricht ihm: Wie soll das geschehen, da wir doch gerade spüren, dass wir mit unseren Möglichkeiten am Ende sind? Wir sind so wenige, wir haben nur begrenzte Mittel, personelle und finanzielle. Und überhaupt haben wir einen so zum Himmel schreienden Priestermangel! Wir sind beruflich, familiär bis zum Äußersten gefordert. Wir sind erschöpft. Und jetzt sollen wir auch noch hinausgehen zu den Armen und ihnen Hoffnung bringen? Woher sollen wir die Kraft, das Geld und die Zeit nehmen?
Der göttliche Bote antwortet ihm und schaut ganz überzeugt in die Runde: Heiliger Geist wird über euch kommen, Gottes Kraft wird euch bestärken, sein Segen kommt über euch, damit ihr als Gesegnete zum Segen werdet. Vertraut diesem Geist, der stärker ist als alle Ungeister um euch herum, der stärker ist als alles, was gegen das Leben und den Frieden steht. Vertraut darauf: Wer in dieser Verheißung verwurzelt ist, der gleicht einem Baum, der gute Früchte bringt. Wer in dieses Geheimnis eintaucht, der taucht bei den Menschen auf: gerade dort, wo ihre Not am größten ist. Schaut euch um und ihr werdet Geistes-Verwandte entdecken, die wie schon früher so euch heute als Menschen guten Willens diesem Geist der Freiheit und des Lebens glauben. Denn vergesst nicht: Bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Noch einmal wird es ganz still in dieser Sitzung. Und plötzlich entsteht Bewegung. Unruhiges Hin- und Herrutschen auf den Stühlen, einer neigt sich zum anderen und flüstert ihm und ihr etwas ins Ohr, bis es aus dem Jüngsten heraus bricht: Ich bin dafür und beantrage, dass wir es versuchen! Das trauen wir uns zu. Wir arbeiten schnell unsere Tagesordnung ab und dann nehmen wir uns noch Zeit und überlegen: Wie kommt das neue Leben, das wir in wenigen Tagen mit der Geburt Jesu feiern und das uns geschenkt wird, in unsere Gemeinden und in unsere Städte? Wie stiften wir zum Leben an und wie knüpfen wir Lebensbündnisse? Wie bringen wir den zur Welt, der in uns immer neu geboren werden will, Jesus, der uns Bruder geworden ist? Wo stellen wir die erste Hoffnungskerze auf?
Alle schauten sich an: Wie kann der plötzlich so reden, wo er sonst doch meistens nur dagegen spricht? Und der Pfarrer sagte: Lasst uns um den Segen bitten, dass wir es schaffen, dass wir diesem Lebensgeschenk trauen, denn Gott lebt es mit uns. Er ist uns zur Lebensgewissheit geworden. Und wie sie sich umsehen und einander die Hände reichen, hatte sie der Engel verlassen.