Netzwerk Kirche – Sonntagsimpuls zum 1. Mai 2022

Sie hören den Sonntagsimpuls für den dritten Sonntag der Osterzeit von Pastor Jürgen Wätjer aus der Pfarrei Heilige Elisabeth.

 

 

Kennen Sie den ersten Unternehmensberater der Kirchengeschichte – den ersten, der dem jungen Unternehmen Kirche wertvolle Hinweise für die Aufbauarbeit gegeben hat? – Es ist der Evangelist Johannes. Er hat seine Vorstellungen von Kirche und seine Hinweise für eine sinnvolle Gemeindeentwicklung aufgeschrieben und sie als Nachtragskapitel seinem Evangelium angehängt. Wahrscheinlich wird beim ersten Hören oder Lesen niemand hinter dem heutigen Osterevangelium einen Beitrag zur kirchlichen Unternehmenskultur vermuten. Erst wenn wir uns intensiver mit ihm beschäftigen, wenn wir einzelnen Aussagen entschlüsseln, erst dann verstehen wir, was der Evangelist seiner Kirche, seiner Gemeinde ans Herz legen will.

Jede Organisation, die langfristig Erfolg haben will, braucht ein Leitbild. Und zu diesem Leitbild gehören drei Aspekte, die auf Englisch so lauten: mission – vision – identity.

– mission – d.h. eine Mission, ein Auftrag, eine Aufgabe.

– vision – d.h. eine Vision, eine Zielvorstellung, eine Zukunftsperspektive.

– identity – d.h. eine Identität, ein unverwechselbares Profil, ein Selbstbewusstsein.

Genau das hat schon vor knapp 2000 Jahren der Verfasser unseres Evangelienabschnitts gewusst, und er zeigt den Gemeinden des beginnenden 2. Jahrhunderts ein Leitbild mit diesen drei Gesichtspunkten: das Leitbild einer österlichen Kirche – einer Kirche, in der Jesus lebendig ist, seine Botschaft, seine Gleichnisse, seine aufbauenden Worte, seine Art, den Menschen zu begegnen.

Unsere Mission, unser Auftrag – sagt er – lautet folgendermaßen: Menschen gewinnen für die Botschaft Jesu, für das Reich Gottes. Menschenfischer sein. Oder mit anderen Worten: Menschen an Land bringen, auf den Boden des Glaubens, der uns selbst Halt gibt. Ihnen eine Perspektive anbieten, unter der ihr Leben gelingen kann. An diesen Auftrag können wir uns halten,

– auch wenn es Nacht wird und zündende Ideen fehlen;

– auch wenn die Erfolge ausbleiben und sich Ermüdungserscheinungen einstellen;

– auch wenn Jesus, der Auftraggeber, oft nicht erkennbar ist.

Entscheidend ist, dass wir das Netz immer wieder auf der rechten Seite auswerfen. Die rechte Seite war im Altertum die positive Seite: die Seite des Bewusstseins, dass wir also mit positiver, hoffnungsvoller Einstellung an unsere Aufgabe herangehen, mit dem Bewusstsein, im Sinn Jesu zu handeln.

Unsere Vision, unsere Zielvorstellung – sagt der erste kirchliche Unternehmensberater Johannes  – lässt sich so umschreiben: Unsere Kirche soll sein wie ein großes Netz:

Ein Netz, das trägt und auffängt, das Menschen miteinander in Verbindung bringt – „ver-netzt“ im wahrsten Sinn des Wortes;
ein Netz, das ganz unterschiedliche Menschen aufnehmen kann, den wankelmütigen, aber begeisterungsfähigen Petrus; den vorsichtigen und zweifelnden Thomas; den skeptischen Natanael, der vor seiner ersten Begegnung mit Jesus gesagt hat: „Was kann aus Nazaret schon Gutes kommen?“; die beiden Zebedäus-Söhne, die sich vordrängen und die ersten Plätze neben Jesus beanspruchen; Starke und Schwache, Stille und Redegewandte, Sichere und Suchende.

Unsere Kirche soll sein wie ein großes Netz, in dem alle ihren Platz finden. Der Kirchenlehrer Hieronymus deutet die Zahl der 153 Fische symbolisch und sagt: Damals waren im See von Tiberias 153 verschiedene Fischarten bekannt – also sollen alle Arten von Menschen, eine ganze Fülle im ‚Netzwerk Kirche‘ heimisch werden. Alle gehören in das Netz der Kirche. Ein Netzwerk soll die Kirche sein, das trotz der Fülle und der Verschiedenheit der Mitglieder nicht zerreißt, das trotz der Vielfalt das Gemeinsame nicht aus den Augen verliert.

Unser Selbstverständnis – sagt der Johannesschüler – kommt am besten zum Ausdruck, wenn wir Eucharistie feiern, wenn wir als Mahlgemeinschaft Jesu beieinander sind.
Hier lädt er selbst uns ein: „Kommt her und esst!“ – Hier lassen wir uns von Jesus den Tisch des Wortes und den Tisch des Brotes decken – hier hören wir seine bewegende und seine herausfordernde Botschaft, hier bekommen wir Proviant für unseren Lebensweg.
Hier erfahren wir die Gemeinschaft derer, die im Sinn Jesu leben wollen.
Hier bestärken wir uns gegenseitig in unserem Auftrag, Menschen für das Evangelium zu interessieren, hier lassen wir die Vision einer ‚Kirche für alle‘ lebendig werden.

Die Mahlgemeinschaft mit Jesus ist unser Erkennungszeichen, unser Markenzeichen. Hier wird deutlich, wovon wir leben und wofür wir leben, wem wir unser Dasein verdanken und welches Profil unser Christsein hat.

Was ist unser Auftrag? Welches Ziel wollen wir erreichen? Woran kann man uns Christen erkennen? “ Diese Fragen muss die Kirche zu allen Zeiten stellen und diskutieren. Die Antworten, die der Verfasser unseres Bibelabschnitts in seinem wunderschönen Evangelium gegeben hat, sind heute noch genauso aktuell wie damals:

Menschen neu für die Botschaft Jesu gewinnen – und nicht zuerst alte Strukturen retten; einladen – und nicht Barrieren aufstellen.

Die Vision einer farbenfrohen und lebendigen Kirche vor Augen haben – und nicht die eines Museums; sich an der Vielfalt freuen – und nicht alles reglementieren und vereinheitlichen.

Gottesdienste feiern, die Freude am Glauben wecken – und nicht ,Messen lesen‘; Gottesdienste feiern, die uns gestärkt und selbstbewusst wieder in den Alltag hineingehen lassen – mit dem Gefühl, dass es sich lohnt, Christin und Christ zu sein.

Es könnte nicht schaden, wenn Kirchenberater und Gemeindeberater bei dem Schüler von Johannes in die Schule gingen. Er hat uns ein so attraktives Leitbild von Kirche hinterlassen.

Amen. Halleluja.