Bibel-Impuls zum 4. Adventssonntag 2021

Zum 4. Advent wird uns als zweite Lesung noch einmal ein schwieriger Text aus dem Hebräer-Brief zugemutet (Hebr 10, 5-10). In einem ziemlich vertrackten Argumentationsgang, der aber dem damaligen Argumentationsstil entspricht, legt der (uns unbekannte) Verfasser dar, dass alle Opfergaben Israels, die (bis zum Jahre 70 n.Chr.) im Tempel dargebracht wurden, nur vorläufig sein konnten. Er zitiert zu diesem Zweck Psalm 40, Verse 7-9, nach der alten griechischen Übersetzung („Septuaginta“) und legt dieses Zitat Christus in den Mund:

Darum spricht er, wenn er in die Welt kommt: »Opfer und Gaben hast du nicht gewollt; einen Leib aber hast du mir bereitet.
Brandopfer und Sündopfer gefallen dir nicht.
Da sprach ich: Siehe, ich komme – im Buch steht von mir geschrieben –, dass ich tue, Gott, deinen Willen.«

Hebr 10, 5-7, revidierte Einheitsübersetzung 2016

Der Einschub im letzten Vers steht natürlich nicht im Psalm selbst, sondern wird vom Verfasser des eingefügt; das erwähnte Buch ist (vermutlich) der Psalter, also die Sammlung von 150 Psalmen: das Gebet- und Gesangbuch Israels.
Der Hebräer-Brief bekennt also als Sinn und Ziel des Kommens Christi, den Willen Gottes zu tun. Dazu ist er in die Welt gekommen, hat „Fleisch angenommen“, um zu tun, was Gottes Auftrag ist.

Opfer und Leiden gehören nicht dazu. Gott braucht unsere Opfer nicht. Gott ist kein Sadist, der seinen Sohn (oder sonst jemanden) leiden sehen will. Wir müssen daher von uns aus das Leiden auch nicht suchen. Auch Jesus war nicht todessüchtig. Sein Gebet im Garten Getsemani beginnt: „Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber!“

Aber kann es sein, dass ich in bestimmten Situationen eben doch „den Kopf hinhalten“ muss? Dass ich auch mit meiner konkreten materiellen Existenz, ja sogar mit meinem Leib einstehen muss für Gott? So wie die vier Lübecker Märtyrer? Oder wie Erzbischof Oscar Romero? Oder wie so viele andere, unbekannte Märtyrer*innen – Blutzeugen des Glaubens? Wie Jesus selbst, dessen Gebet weiterging: „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“ (Lk 26,39).

Mit Jesu Eintritt in die Welt beginnt für ihn ein Weg der Selbsthingabe, der schließlich in den Tod mündet. Der Weg von der Krippe zum Kreuz ist kein Spaziergang. Ein sehr altes Weihnachtslied („Es kommt ein Schiff geladen“, GL 236), dessen Text bis ins Jahr 1450 zurückgeht, drückt das in den Strophen 4 bis 6 so aus:

„Zu Betlehem geboren im Stall ein Kindelein
gibt sich für uns verloren; gelobet muss es sein.

Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will,
muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel;

danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn,
das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.“

Das ist der Ernst der Weihnacht! Gottes Liebesgeschichte mit uns Menschen wird ihm auf den Leib geschrieben. Und auch Nachfolge Jesu kostet etwas. Aber am Ende steht nicht der Tod, sondern das Leben. So spannt sich ein großer Bogen von Weihnachten nach Ostern.

Frohe Weihnachten wünscht
Helmut Röhrbein-Viehoff